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Auf den sizilianischen Spuren Seumes - Kunst und Architektur

von Gerhard Kaucky für die Seume-Website

Anders als Eric Pawlitzky habe ich es im April 2023 (leider) nur mit PKW und Fähre nach Sizilien geschafft und dort, mit Seume und Goethe im Gepäck, einige Städte besucht. Übrigens fast in den selben Jahreswochen wie Seume. Interessanterweise liefert Goethe insgesamt mehr heute noch „touristisch“ verwertbare Informationen, Seume hingegen bietet den klareren Blick auf die damalige Realität. Goethe begegnet man auf Sizilien in der Via Goethe in Bagheria bei der Villa Palagonia, der Villa Goethe in Agrigent, dem Sentiero di Goethe in Taormina zum Theater und vielleicht an weiteren Orten. Ein Desiderat wäre für mich eine Seume-Erinnerungstafel auf Sizilien, z.B. an der Fonte Aretusa in Syrakus!

Im Folgenden teile und kommentiere ich ausgewählte Fotos zu Kunst und Architektur mit den dazu passenden Ausführungen aus dem „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ (zitiert nach: Johann Gottfried Seume, Werke Band 1, Deutscher Klassiker Verlag, Hrsg. Jürgen Drews, Frankfurt am Main 1993). Es ist keine umfassende Darstellung, sondern eine persönliche Auswahl. Ich hoffe und wünsche mir, dass der Beitrag Lust macht auf Entdeckungen mit Seume auf Sizilien (mir selbst fehlen noch einige Orte, genug Potenzial für die nächste Reise dorthin).

Palermo – Botanischer Garten

S. 411/412: „Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora ist nun fertig. … Die Sizilianer sind mit der Ausführung, aber nicht der Idee zufrieden. … Die Säulen sind nicht rein und oben und unten verziert.“

Neben dem botanischen Garten liegt der ebenso schöne, kostenlose öffentliche Park Villa Giulia, der von Seume ebenfalls besucht wurde (er hieß damals Flora); das Foto wurde durch den Zaun zwischen der Flora und dem Orto Botanico aufgenommen.

Palermo – Piazza Bologni, Karl der Fünfte

S. 414: „Kaiser Karl der Fünfte hat um Sicilien große Verdienste. Überall findet man noch Arbeiten von ihm … Seine Bildsäule steht also in Palermo fast inmitten der Stadt am Toledo auf einem freien Platze; aber mit einem Bombast, der nicht in der Natur des Mannes lag. Er hat in der Inschrift eine lange Reihe Beinamen …“

Der Toledo heißt heute Via Vittorio Emmanuele und ist als Verbindung vom Meer zum Dom und zum Palazzo Reale von Touristen geflutet. Die Statue von Karl dem V ist relativ klein und wird von vielen übersehen. Auch die Inschriften sind noch vorhanden.

Agrigent – Antiker Taufstein im Dom

S. 328: „Raimondi, welcher Direktor der dortigen Schule ist, führte mich in die alte gotische Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah … Der alte Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug …“

Der Taufstein steht heute in einem Seitenraum des Doms und gehört zum Diözesanmuseum. Er ist eine herausragende Arbeit aus dem 3. Jhd. v. Chr. Die bewusst klein und alt dargestellte Amme sollte angeblich die nackten Jünglinge durch den Gegensatz besonders hervorheben.
Erläuterung des Museumsangestellten: Der Stein (Sarkophag) war als Viehtränke Jahrhunderte zweckentfremdet, bis man den Wert entdeckte und ihn in die Kirche schaffte. Aufgrund der Darstellung von Nacktheit war er in der Kirche hinter einem Holzgerüst verborgen. Goethe wurde „die Viehtränke“ gegen Zahlung von reichlich Geld gezeigt. Touristen wurden also schon damals ausgenommen.

Agrigent – Concordiatempel

S. 330: „Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer folgte, und lief oben auf dem steinernen Gebälke durch den Wind mit einer nordischen Festigkeit hin und her, daß der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber war, vor Angst blaß ward …“

Die “Celle“ ist das Gebäude in der Mitte des Tempelinnenraums, was man auf dem Foto andeutungsweise sieht. Ich bin nicht nordisch genug, um da heraufzusteigen, abgesehen davon, daß dies heute verboten ist. Eins der Privilegien der klassischen Reisenden war, ohne Massentourismus so etwas zu tun. Die anderen Tempel in Agrigent sind heute dafür deutlich mehr ausgegraben und/oder restauriert.

Die Hochhäuser von Agrigent im Hintergrund rechts hat Seume natürlich nicht gesehen.

Syrakus – Ohr des Dyonisius

S. 355: „Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, daß man am Eingang zerreißt, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man stark in die Hände klatscht, gibt es einen Knall wie einen Büchsenschuß, nur etwas dumpfer. … Cicero nennt es einen schrecklichen Kerker. Hin und wieder sieht man noch Ringe in den Felsen, in der Höhe und auf dem Boden. … Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehedem für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt.“

Den Echoeffekt bzw. die Verstärkung der Geräusche habe ich nicht so stark wie Seume wahrgenommen. Vermutlich kommt es auf den exakt richtigen Platz im Ohr an, oder die vielen Touristen stören den Effekt. Die Beschreibung des Ohres ist bei Seume viel ausführlicher als die Zitate oben, es lohnt sich, sie zu lesen. Überhaupt ist der gesamte „Parco Archeologico della Neapoli“ in Syrakus eine umfassende Besichtigung wert. Hier fühlte ich mich eher als in Agrigent in eine antike Welt versetzt.

Syrakus – Fonte Arethusa

S. 360: „Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht gibt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiß vom festen Boden der Insel; und schon dieser Gang ist sonderbar genug.“

Seume hatte recht: Das zweite Restaurant in der Straße hinter der Quelle mit dem Namen „Spizzica Al Vecchio Lavatoio“ schreibt auf seiner Website: Das Wasser der Arethusa-Quelle floss nämlich in nahegelegene Becken, unterirdische Hypogäen*, die ursprünglich als Gerbereien genutzt wurden und dann um 1700 bis 1945 zu öffentlichen Waschhäusern wurden. Davon zeugt heute noch ein unterirdischer Raum im Ristorante al Vecchio Lavatoio, zu dem man über den Lungomare Alfeo in Ortigia gelangt. 

 * Wikipedia: Mit einem Gewölbe versehener Grabbau. Der Begriff wird vornehmlich für heidnische Anlagen als Abgrenzung zu den christlich definierten Katakomben verwendet.

Syrakus – Katakomben Sankt Philippi

S. 360: „In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte, tiefe Gruft mit einer ziemlich bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nehmlichen Beschaffenheit ist (Anmerkung: wie die Arethusaquelle); nur fand ich es noch etwas salziger: das mag vielleicht von der großen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in den griechischen Tempeln findet. ... Aber kann es nicht eben so wohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen sein?“

Die Kirche in der Altstadt Ortygia heißt heute „Chiesa di San Filippo Apostolo“ und sie hat drei (!) Ebenen unter der Hauptkirche. Die erste war eine frühchristliche Untergrundkirche, die zweite hat Verbindungen zu den unterirdischen Katakombengängen der Altstadt (zusammen 2,4 km Länge!), auf der dritten Ebene findet sich eine kleine Quelle bzw. Wasserstelle, die laut Führung als Frauen-Mikwe (jüdisches Ritualbad) genutzt wurde. Die letztere beschreibt wohl Seume in seinem Spaziergang.

Syrakus – Villa Landolina

S. 351: „Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mal mit wahrhaft freundschaftlicher Teilnahme mit mir herumgeritten und gegangen. Du weißt, daß er Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen.“

Der Ritter Landolina war der von Seume sehr geschätzte Führer in Syrakus. Er hat sich viel um die Ausgrabung, Konservierung und Untersuchung der griechischen Antiken verdient gemacht.

Die Villa Landolina in Syrakus war ein Zufallsfund. Sie steht auf dem Gelände des empfehlenswerten „Museo Archeologico Regionale Paolo Orsi“ mit griechischen und römischen Funden. Damals war dieser Ort noch außerhalb der Stadt. Heute ist es immerhin ein schöner kleiner Park auf dem Museumsgelände; außen herum tost der Stadtverkehr. Die Villa Landolina ist derzeit leider kaum genutzt oder ungenutzt und in schlechtem Zustand.

Taormina – Theater

S. 390: „Dieser Ort, welcher ehemals unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. …“

Die Ortsbeschreibung von Seume ist auch heute noch zu 100% richtig, zum Beweis müsste ich weitere Fotos anfügen. Auf dem obigen Bild also nur der unter den dunklen Wolken teilweise sichtbare, schneebedeckte Aetna und im Vordergrund das wohl häufigste Postkartenmotiv von Sizilien, die Bühne des Theaters. Die Stadt Taormina selbst ist touristisch sehr überlaufen. Seume nachahmend lässt sich meiner Meinung nach die meiste Zeit auf Sizilien am besten in Syrakus verbringen. (Goethe hat Syrakus übrigens ausgelassen, er wusste vielleicht nicht, was er verpasst).