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Mit Seume und Goethe in Rom und auf der Via Appia Antica

Text und Fotos: Gerhard Kaucky, 20.03.2023

Eine kleine Delegation aus Vereinsmitgliedern und Seume-Freunden nahm vom 15. - 17. März 2024 an einem besonderen Event teil: Eine literarische, kulturelle und wandernde Begegnung mit den so unterschiedlichen Charakteren Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Seume, deren Italienreisen nur 15 Jahre auseinanderlagen (1786-88 / 1801-02).

Nach einer Führung mit Claudia Nordhoff (Casa di Goethe) durch Goethes damalige Wohnung in Rom in der heutigen „Casa di Goethe“ und durch die Ausstellung in diesem einzigen, von Deutschland im Ausland finanzierten Museum (https://casadigoethe.it/de/), begann die von Gregor H. Lersch (Leiter der Casa di Goethe) mit der Seume-Gesellschaft vorbereitete Veranstaltung mit einem Vortrags- und Diskussionsabend:

Seume und Goethe in Italien: Spaziergang oder Postkutsche?

Moderiert von Herrn Lersch, wurde vor zahlreichem Publikum über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Reisen von Seume und Goethe lebhaft diskutiert. Lutz Simmler und Wolfgang Fritzsche stellten die Aktivitäten der Seume-Gesellschaft, die Planung des europäischen Seume-Kulturwanderwegs und die noch immer stattfindenden „Spaziergänge“ von Grimma nach Syrakus vor und betrieben gut aufgenommene Werbung für Seume und unsere Gesellschaft. Mit der Germanistin Prof. Maria Scialdone (Universität Macerata) gibt es in Italien schon seit über einem Jahr eine Verbindung.

Die fundierten Vorträge von Claudia Nordhoff und Prof. Maria Scialdone erbrachten einige interessante Zuschreibungen, die für Seume und Goethe gleichermaßen gelten. Man könne statt von einer Grand Tour eher von Selbstfindungsreisen oder Sabbaticals sprechen, in denen die jeweiligen Enttäuschungen und die Erschöpfung des Alltags kompensiert wurden (bei Goethe durch künstlerische und schreibende Tätigkeit in seiner römischen Künstler-WG, bei Seume durch das Gehen). Nicht zuletzt durch die Reisebeschreibungen gelten beide Autoren als frühe Botschafter des europäischen Gedankens, Vermittler von Transkulturalität und Kosmopoliten – sie sind somit sehr aktuell und zeitgemäß!

Seume und Goethe haben auch Sizilien besucht, welches nicht Bestandteil der „Grand Tour“ war; die Überfahrt und das Land wurden in den Reiseführern der Zeit als zu gefährlich beschrieben. Fund am Rande: Der „Vater der Grand Tour“ und vielleicht erste Fußreisende war übrigens nicht Seume, sondern der Engländer Thomas Coryat, der 1608 durch Frankreich und Italien lief.

Unterschiede bestanden in Finanzierung der Reisen, persönlichen Interessen und Wahrnehmung und Darstellung der Umwelt. Etwas plakativ: Kunst & Kultur bei Goethe versus soziale und politische Beobachtung bei Seume. Und - zurück zu Vortragstitel - natürlich in der Art des Reisens. Das ungewohnte Gehen hatte mittlerweile beim römischen Publikum einige Sympathien gefunden. Gregor Lersch schloss die Veranstaltung folgerichtig mit dem Seume-Zitat: „Ich halte den Gang für das Ehrenvolleste und Selbständigste in dem Manne, und bin der Meinung, daß alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge“ (aus der Vorrede von Mein Sommer 1805).

An den beiden Folgetagen wurde - 222 Jahre nach Seumes Aufbruch aus Rom - gewandert, zunächst mit ca. 30 Personen, am zweiten Tag noch in einer kleinen Gruppe. Vom Startpunkt, der Casa di Goethe am Via del Corso 18, ging es über das Pantheon zu Seumes Wohnung in Rom (Palazzo Strozzi, heute Foundation Marco Besso, Largo die Torre Argentina 11). Es folgten Colosseo, Circus Maximus und sodann durch das Stadttor ging es auf die Via Appia Antica.



(Foto bereitgestellt von Gregor H. Lerch)

Bei herrlichem Wanderwetter begrüßten uns auf dieser historischen Straße die Überreste von Katakomben, Villen reicher Römer, Mausoleen, Türmen usw. Insgesamt führte der Weg in zwei Tagen ca. 30 km bis Castel Gandolfo am Albaner See und nach Ariccia. Dort befinden sich ein kleines Museo del Grand Tour sowie Schloß und Park des Fürsten Chigi, den Seume gerne kennengelernt hätte. Seume lobt die Gegend als „eine der schönsten in Italien“.

Es ist recht sicher, dass Seume nicht die Via Appia Antica gegangen ist, da er die Kirche Sankt Johann von Lateran und die Ruinen der alten Wasserleitungen erwähnt, die sich weiter östlich nahe der heutigen Via Appia Nuova befinden, eine heute nicht mehr wanderbare Schnellstraße. Dennoch und gerade deshalb, mit den in den Gehpausen auf Deutsch und Italienisch vorgetragenen Seume- und Goethe-Zitaten, war diese Wanderung für alle Teilnehmer ein unvergessliches Erlebnis!